Psychische Folgen bei Diabetes Typ 1

Die Diagnose Diabetes Typ 1 kann ein großer Schock sein und die Psyche massiv belasten, vor allem zu Beginn. Auch im späteren Verlauf erleben viele Betroffene immer wieder Momente, in denen sie sich durch die Folgen der Diabetes-Erkrankung überfordert und nicht “nur” körperlich, sondern auch emotional schlecht fühlen.
Um solche Phasen gut zu überstehen, kannst du dir verschiedene Strategien aneignen, um mentalen Stress effektiv abzubauen - deiner seelischen und auch deiner körperlichen Gesundheit zuliebe. Wenn dir das gelingt, kannst du mit deinem Typ 1 Diabetes ein schönes, erfülltes Leben genießen.
Im Folgenden gehen wir auf die möglichen psychischen Belastungen durch Diabetes Typ 1 ein. Wir erklären, wie sie sich äußern und auswirken können. Zum Schluss geben wir dir einige Tipps, die dir helfen sollen, besser mit den psychischen Herausforderungen umzugehen. Es fühlt sich manchmal vielleicht echt schwer an, aber Kopf hoch, du kannst das schaffen!
Welche psychischen Belastungen durch Diabetes Typ 1 entstehen können
Im Großen und Ganzen sind es drei Aspekte, die der Psyche zusetzen können:
das einschneidende Erlebnis der plötzlichen Diagnose und die damit verbundenen - erforderlichen - Veränderungen im alltäglichen Leben
die Angst vor Komplikationen, Folgeerkrankungen und weiteren Einschränkungen
die soziale Komponente, sprich die Reaktionen anderer Menschen - hauptsächlich nahestehender, aber auch fremder - auf den Diabetes
Die lebensverändernde Diagnose Diabetes Typ 1
Die stärkste Belastung ist der Diabetes an sich - oder anders ausgedrückt: die Erkenntnis, das Wissen, an Diabetes Typ 1 erkrankt zu sein und es nach aktuellem Stand der Forschung lebenslang zu bleiben. Damit klarzukommen, die Diagnose anzunehmen und in den Alltag zu integrieren, stellt für Betroffene die größte Herausforderung dar.
Apropos in den Alltag integrieren: Regelmäßig Blutzucker messen, Insulin spritzen, die Ernährung anpassen, vor jeder Mahlzeit die Kohlenhydrat- sowie Fett-Protein-Einheiten abschätzen, Sport und Reisen sorgfältig planen - Menschen mit Diabetes Typ 1 müssen sich an viele Regeln halten. Es ist wie ein Vollzeitjob, der zum bisher gewohnten Leben einfach so ungefragt dazukommt. Diese ständigen Anforderungen können sehr belastend sein.
Die Angst vor Komplikationen, Folgeerkrankungen und weiteren Einschränkungen
Diabetes Typ 1 kann akute Unterzuckerungen und Überzuckerungen sowie verschiedene Folgeerkrankungen der Gefäße, Nerven, Augen, Nieren und Füße nach sich ziehen. Das erhöhte Risiko für schwerwiegende Komplikationen und weitere Einschränkungen ist eine Belastung, die manche schwächer, andere stärker wahrnehmen.
Die Kombination aus den zahlreichen Alltagsanforderungen und der Angst vor möglichen Folgen kann zu emotionalem Dauerstress führen. MedizinerInnen sprechen in diesem Zusammenhang von Diabetes Distress.
Studien zufolge (Springer, PMC) hemmt beziehungsweise reduziert Diabetes Distress die Fürsorge für die eigene Diabetes-Erkrankung. Betroffene achten weniger auf ein gutes Diabetes-Management, was früher oder später den Behandlungserfolg negativ beeinflusst: Der Blutzucker- und allgemeine Stoffwechsel verschlechtern sich. Dadurch steigt das Risiko für Folgeerkrankungen.
Teufelskreis: Dauerstress erhöht den Blutzucker
Bei Dauerstress produziert der Körper vermehrt das Stresshormon Kortisol. Dieses erhöht den Blutzuckerspiegel, damit der Organismus bei Bedarf schnell mehr Energie verfügbar hat. Darüber hinaus stimuliert eine intensive Stressbelastung die Ausschüttung des Appetithormons Ghrelin. Dieses fördert unser Verlangen nach süßen und kohlenhydratreichen Nahrungsmitteln, was die Wahrscheinlichkeit für einen weiteren Blutzuckeranstieg durch die zusätzliche Nahrungsaufnahme erhöht. Der hohe Blutzucker wiederum stresst Körper und Psyche. So entsteht ein Teufelskreis, den wir Menschen mit Diabetes Typ 1 durch gezielte Maßnahmen zum Stressabbau verhindern sollten.
Psychische Belastungen durch soziale Konflikte
Neben den grundlegenden Herausforderungen durch Diabetes Typ 1 können auch Einflüsse von außen - genauer gesagt aus dem sozialen Umfeld - belastend sein. Immer wieder sind Betroffene verletzenden Kommentaren oder abwertenden Blicken ausgesetzt, mal von nahestehenden Personen aus dem Familien- oder Freundeskreis, mal von ArbeitskollegInnen oder Fremden.
Ursächlich für solche sozialen Belastungen sind in der Regel Stigmatisierungen durch Unwissenheit: Menschen, die sich nicht näher mit Diabetes Typ 1 auskennen, greifen gerne auf ein paar klischeehafte Informationen zurück, die sie irgendwann irgendwo einmal gehört oder gelesen haben - meist in Bezug auf Typ 2 Diabetes. Das Ergebnis sind Aussagen wie “Das enthält doch Zucker, also darfst du es als DiabetikerIn keinesfalls essen.” oder “Kein Wunder, dass du Diabetes hast, wenn du so viel Süßes isst.”
Wenn Menschen mit Diabetes Typ 1 in der Öffentlichkeit Insulin spritzen, kann es vorkommen, dass sie von Fremden abschätzig angeschaut oder gar als “Junkie” beschimpft werden. Derartige Erlebnisse lassen wohl niemanden kalt; doch manchmal belasten sie so sehr, dass sich die betroffene Person sozial ausgegrenzt fühlt, was die psychische Verfassung noch weiter verschlechtert.
Aber: Auch ein komplett entgegengesetztes Verhalten von Nahestehenden kann sich negativ auf die Psyche auswirken. Wenn Angehörige, Freunde oder Freundinnen sie andauernd bemitleiden und überfürsorglich sind, entsteht bei Menschen mit Diabetes Typ 1 leicht der Eindruck, nur noch als Betroffene wahrgenommen zu werden. Das kann emotional genauso belasten, wie es bei verachtendem oder ignorantem Verhalten der Fall ist.
Mögliche Auswirkungen der Belastungen durch Diabetes Typ 1
Die durch Diabetes Typ 1 bedingten Belastungen können verschiedene Emotionen hervorrufen. Unmittelbar nach der Diagnose empfinden Betroffene teilweise Schuldgefühle. Sie geben sich selbst die Schuld daran, erkrankt zu sein. Andere sind hingegen wütend auf das Schicksal und fragen sich verzweifelt, warum es ausgerechnet sie treffen musste.
Wichtig: DU BIST NICHT SCHULD AN DEINEM DIABETES. Diabetes Typ 1 ist eine Autoimmunerkrankung, deren genaue Ursachen noch nicht vollständig geklärt sind. Fest steht jedoch, dass eine genetische Veranlagung im Zusammenspiel mit bestimmten, nicht selbst beeinflussbaren Umweltfaktoren zum Ausbruch der Erkrankung führt.
DU BIST NICHT SCHULD AN DEINEM DIABETES! Diabetes Typ 1 ist eine Autoimmunerkrankung, deren genaue Ursachen noch nicht vollständig geklärt sind. Fest steht jedoch, dass eine genetische Veranlagung im Zusammenspiel mit bestimmten, nicht selbst beeinflussbaren Umweltfaktoren zum Ausbruch der Erkrankung führt.
Wenn du zunächst das Schicksal verteufelst, ist das völlig in Ordnung. Es gehört zum Verarbeitungsprozess dazu. Wichtig ist nur, dass du diese Wut auch wieder abbaust und lernst, deinen Diabetes als einen Teil von dir zu sehen. Wie dir das gelingen kann, erfährst du weiter unten bei unseren Tipps zum Umgang mit psychischen Belastungen.
Außerdem können die alltäglichen Herausforderungen durch Diabetes Typ 1 zu depressiven Verstimmungen und Erschöpfung führen. Es ist ganz normal, wenn dich das umfangreiche Diabetes-Management und mögliche Misserfolge sowie soziale Konflikte hin und wieder runterziehen und entkräften. Solche Gefühle und Zustände sollten nur nicht Überhand nehmen.
Wenn die Belastungen nicht mehr ausreichend reguliert werden können…
Die Belastungen, Sorgen und Ängste im Zusammenhang mit der Diabetes-Typ-1-Erkrankung können so stark und überfordernd werden, dass die psychischen Folgen über eine vorübergehende Traurigkeit oder Niedergeschlagenheit hinausgehen und sich als Depression, Angststörung oder Burnout manifestieren.
Entscheidend sind in erster Linie die Zeitspanne sowie zum Teil auch die Art und Intensität der Symptome: Fühlst du dich ab und zu ein paar Tage lang traurig, antriebs-, appetit- oder generell lustlos, unruhig oder ängstlich, bist du für einen begrenzten Zeitraum depressiv verstimmt? Das ist alles andere als ein angenehmer Zustand, aber gemeinhin nicht behandlungsbedürftig. Anders sieht es aus, wenn diese Verstimmung über Wochen oder gar Monate anhält, kaum noch Freude empfunden wird und im schlimmsten Fall Suizidgedanken aufkommen.
Wichtig: Beim Verdacht auf eine ernsthafte psychische Erkrankung solltest du professionelle Hilfe in Anspruch nehmen. Informationen, Adressen und einen Selbsttest - den WHO-5-Wohlfühltest - findest du auf der Webseite der Arbeitsgemeinschaft Diabetes und Psychologie e.V. der Deutschen Diabetes Gesellschaft.
Essstörungen bei Diabetes Typ 1
Manche Menschen mit Diabetes Typ 1 entwickeln eine Essstörung. Gefährdet sind vor allem Betroffene, bei denen mehrere der folgenden Risikofaktoren vorliegen:
jüngeres Alter
weibliches Geschlecht
höheres Körpergewicht
Unzufriedenheit mit dem eigenen Körperbild
Depression
Zu nennen ist insbesondere die sogenannte Diabulimie: Die betroffene Person lässt absichtlich Insulingaben aus, um abzunehmen. Auch die Bulimia nervosa kommt vor: Hierbei wechseln sich Heißhungerattacken mit Erbrechen oder der Einnahme abführender Medikamente ab.
Essstörungen wirken sich negativ auf den Blutzuckerspiegel aus und erhöhen das Risiko für akute Komplikationen (Unterzuckerungen, Überzuckerungen, Ketoazidose) und Folgeerkrankungen - beispielsweise des Herz-Kreislauf-Systems, der Augen (Retinopathie) oder der Nieren (Nephropathie).
Betroffene neigen dazu, ihre Essstörung zu leugnen oder zu verharmlosen. Doch gerade mit Diabetes Typ 1 ist es extrem wichtig, möglichst schnell professionelle Hilfe in Anspruch zu nehmen, um kurz- und langfristige Komplikationen zu verhindern.
Tipps zum Umgang mit psychischen Belastungen durch Typ 1 Diabetes
Zum Abschluss möchten wir dir einige Tipps mit auf den Weg geben, wie du psychische Belastungen verarbeiten kannst. Dabei ist uns völlig klar, dass nicht jede Strategie für jeden Menschen funktioniert. Doch wir hoffen, dass dir manche unserer Ratschläge helfen, die psychischen Tiefpunkte des Lebens mit Diabetes Typ 1 schneller und besser zu überwinden.
1. Nimm dir Zeit, um alles zu verarbeiten
Erlaube dir erst einmal alle Gefühle, auch die negativen. Dabei spielt es keine Rolle, ob du die Diagnose gerade frisch erhalten hast oder schon länger mit Diabetes Typ 1 lebst und momentan eine schwierige Phase durchmachst. Nimm dir so viel Zeit, wie du brauchst, um die Situation zu verarbeiten. Achte nur darauf, dein Diabetes-Management dabei nicht zu vernachlässigen, und suche bewusst immer wieder auch Schönes - in dir und außen. Vielen Menschen hilft es, sich Gedanken aufzuschreiben, bspw. mit Journaling oder Tagebuch schreiben. Auch kann es helfen, sich selbst als facettenreich zu betrachten, womit alle Gefühle (positiv und negativ), Verhaltensweisen und Gedanken nur ein Teil von einem sind. Eine weitere Hilfestellung kann sein, sich aufzuschreiben, wie man es denn gerne hätte und sich dann Wege zu suchen, um diese Wünsche zu erreichen (LINK Selbsthilfegruppen und Coaching).
Ganz wichtig: Es ist ok, wenn es mal “schlechte Tage” gibt - wie bei jedem Menschen. In unserem Fall haben die miesen Momente dann und wann eben mit dem Diabetes zu tun. Aber danach kommt auch wieder ein guter Tag – wie beim Wetter.
2. Informiere dich ausführlich über Diabetes Typ 1
So banal oder widersprüchlich es auch klingen mag: Etlichen psychischen Folgen kannst du schon allein dadurch vorbeugen, dass du dich ausführlich über Diabetes Typ 1 informierst. Dahingehend trifft das Sprichwort “Wissen ist Macht” wirklich zu. Denn wenn du dich erst einmal umfassend eingelesen hast, weißt du, dass vieles in deiner eigenen Hand liegt und du eine Menge Einfluss darauf nehmen kannst, gut mit deinem Diabetes zu leben. Umfangreiche Kenntnisse über deinen etwas anderen “Lebensgefährten” geben dir Know-how und Sicherheit im Alltag und in spezifischen Situationen. Außerdem kannst du damit falsches Wissen entkräften und mögliche Gedankenspiralen oder Denkmuster unterbrechen.
Auf unserer Wissensplattform findest du zahlreiche Beiträge zum Leben mit Diabetes Typ 1. Sieh dich in Ruhe um und lies einfach, was dich interessiert. Außerdem legen wir dir ans Herz, an unseren kostenlosen Online-Schulungen teilzunehmen. Registriere dich bei uns - natürlich ebenfalls kostenfrei - und absolviere die Kurse bspw. Sport mit Diabetes Typ 1 entspannt in deinem Tempo.
3. Sprich mit Nahestehenden und/oder anderen Menschen mit Diabetes Typ 1
Manchmal tut es einfach gut, mit anderen Menschen über die eigenen Sorgen und Ängste in Bezug auf die Diabetes-Erkrankung zu sprechen. Wichtig ist, dass du dir dafür die richtigen GesprächspartnerInnen suchst. Das können nahestehende Menschen sein, denen du vertraust und bei denen du das Gefühl hast, dass sie dich verstehen (wollen). Fehlt eine solche Person in deinem Umfeld? Dann ist vielleicht die Teilnahme an einer Selbsthilfegruppe für Menschen mit Diabetes Typ 1 eine Option für dich. Alternativ kann auch das Mentoring und/oder Coaching durch eine erfahrene Person, die selbst mit Typ 1 Diabetes lebt, hilfreich sein. Bist du interessiert? Dann wende dich an Ivo, den Gründer von Dialetics, der mit seinem Diabetes Typ 1 schon einige Hindernisse überwunden hat.
4. Kläre die Menschen aus deinem Umfeld über Typ 1 Diabetes auf
Psychischen Belastungen durch Stigmatisierungen kannst du vorbeugen, indem du die Menschen aus deinem Umfeld ein Stück weit über Typ 1 Diabetes informierst. Erkläre deinen Angehörigen, FreundInnen und gegebenenfalls auch ArbeitskollegInnen, was beim autoimmunen Diabetes im Körper passiert und warum du Insulin spritzen musst. Auf diese Weise erzeugst du ein besseres Verständnis für die Erkrankung und für dich.
Zusatztipp: Am besten gehst du ausgewählten Personen gegenüber auch darauf ein, welche Symptome bei einer Überzuckerung, Ketoazidose und Unterzuckerung auftreten und wie dir die anderen Menschen in der jeweiligen Situation helfen können. Das gibt ihnen und auch dir Sicherheit - und reduziert häufig die empfundene psychische Belastung.
Es kann leider auch vorkommen, dass sich Menschen in deiner Umgebung nicht empfänglich für deine Bemühungen um Aufklärung zeigen, oder, dass sie sich einfach nicht dafür interessieren. Konzentriere dich auf die Menschen, die dir gut tun und mit denen du gut und gerne sprechen kannst.
Fest steht: Die emotionale und zum Teil auch die praktische Unterstützung durch das soziale Umfeld ist ungemein wichtig, um die psychischen Herausforderungen durch Diabetes Typ 1 gut zu meistern. Bist du mit einer Person mit Diabetes Typ 1 verwandt oder befreundet? In unserem Beitrag für Menschen mit “Diabetes Typ F” - also Familienmitglieder, Freunde und Freundinnen von Menschen mit Diabetes - findest du allerhand Tipps zum richtigen Umgang mit Betroffenen.
5. Treibe Sport
Sport zu treiben kann sich nachweislich positiv auf die Psyche auswirken. Unser Körper schüttet dabei vermehrt Endorphine aus, die als “Glückshormon” bekannt sind und stimmungsaufhellende sowie schmerzlindernde Wirkung haben. Außerdem kann regelmäßige Bewegung den Blutzucker positiv beeinflussen. Du profitierst also gleich in mehrerer Hinsicht von Sport.
6. Probiere verschiedene Stressbewältigungsstrategien aus
Welche Stressbewältigungsstrategien gut funktionieren, ist von Mensch zu Mensch unterschiedlich. Probiere also verschiedene Sachen aus. Neben den bisherigen fünf Tipps können auch Meditation, Autogenes Training und dergleichen helfen, Stress besser abzubauen beziehungsweise den Geist zu schulen, negative Emotionen effektiver und schneller zu regulieren. Du kannst auch “Unkonventionelles” austesten, etwa Rätsel lösen, Musizieren, Malen, Basteln et cetera. Experimentiere ein bisschen und finde heraus, was bei dir am besten gegen emotionalen Stress wirkt. Und sobald du das weißt, solltest du der jeweiligen Tätigkeit so oft wie möglich nachgehen - nicht nur in akuten Stressmomenten, sondern auch im ganz normalen Alltag, damit starke negative Emotionen bis hin zu Diabetes Distress gar nicht erst entstehen können.