SportlerInnen mit Diabetes Typ 1: Erfolg trotz Herausforderung

Fussballerinnen im Zweikampf

Diabetes Typ 1 und Profisport galten lange Zeit als unvereinbar. Inzwischen wissen wir, dass es durchaus möglich ist, trotz der autoimmunen Stoffwechselerkrankung im Sport erfolgreich zu sein – und wie! Unter den Profis mit Typ 1 Diabetes gibt es OlympiasiegerInnen, WeltmeisterInnen, NationalspielerInnen. Das finden wir so beeindruckend, dass wir diesem Thema einen eigenen Beitrag widmen wollen.

Im Folgenden gehen wir zunächst allgemein auf die Herausforderungen, aber auch auf die Chancen ein, die Leistungssport bei Diabetes Typ 1 mit sich bringt. Danach befassen wir uns genauer mit einigen erfolgreichen ProfisportlerInnen und sehen uns an, wie beispielsweise Tennis-Ass Alexander Zverev, Fußballerin Sandra Starke und Feldhockey-Weltmeister Timur Oruz es schaffen, ihren jeweiligen Sport mit Typ 1 Diabetes zu vereinbaren.

Diabetes Typ 1 und Leistungssport - (k)ein Widerspruch?

Den Blutzuckerverlauf verfolgen, Insulin spritzen sowie sämtliche Einflussfaktoren auf den Glukosespiegel beobachten und gegebenenfalls regulieren: Schon das “normale” Leben ist für Menschen mit Diabetes Typ 1 jeden Tag aufs Neue sehr herausfordernd. Wie um Himmels willen soll es unter diesen Umständen möglich sein, Leistungssport zu betreiben beziehungsweise den Alltag eines Profisportlers oder einer Profisportlerin zu bestreiten, der wahrlich kein Zuckerschlecken ist?!

Abgesehen von der enormen körperlichen Belastung müssen Profis auch dem ständigen Leistungs- und Erfolgsdruck standhalten. Nun beeinflussen physischer und psychischer Stress den Blutzucker bekanntlich in hohem Maße, was es nur noch unglaublicher macht, dass sich manche Menschen mit Typ 1 Diabetes für ein Leben als Profisportlerin entscheiden. Doch es gibt genügend Beispiele, die klar zeigen: Diabetes Typ 1 und Leistungssport sind kein Widerspruch, sondern eine Kombination, die tatsächlich funktionieren kann.

Grundsätzlich gibt es keine Sportart, die ein Mensch mit Typ 1 Diabetes nicht profimäßig ausführen könnte. Allerdings muss der Trainingsplan perfekt auf den Sportler oder die Sportlerin mit der Stoffwechselerkrankung abgestimmt sein und neben sportspezifisch optimierten Trainingseinheiten, Regenerationsphasen und Ernährungsplänen auch diabetesspezifische Anpassungen enthalten, die wiederum in alle genannten Bereiche – Training, Regeneration und Ernährung – einzugliedern sind.

Anders ausgedrückt, stehen Betroffene vor der Herausforderung, das Leben mit Diabetes Typ 1 und das Leben als Profisportler oder Profisportlerin so zu vereinen, dass sowohl der Diabetes als auch der Sport die erforderliche Aufmerksamkeit bekommen. Im Prinzip geht es darum, zwei entgegengesetzte Welten in Einklang zu bringen. Das ist enorm schwierig, aber offensichtlich möglich.

Vorteile von Leistungssport bei Typ 1 Diabetes

Bevor wir konkreter auf die größten Herausforderungen eingehen, möchten wir kurz die Vorteile von Leistungssport bei Typ 1 Diabetes erwähnen:

  • LeistungssportlerInnen benötigen in der Regel signifikant weniger Insulin. Achtung: Das heißt NICHT, dass man durch Leistungssport auf Insulin spritzen verzichten kann. Insulin ist und bleibt ein lebensnotwendiges Hormon.

  • Die kardiovaskuläre (Herz-Kreislauf) Leistungsfähigkeit verbessert sich.

  • Profis haben ein geringes Risiko, kardiovaskuläre Probleme zu entwickeln. Das ist sehr interessant, denn prinzipiell sind Menschen mit Diabetes stärker gefährdet, zerstörte Gefäßstrukturen, Schlaganfälle und Herzinfarkte zu erleiden; LeistungssportlerInnen mit Diabetes hingegen haben diesbezüglich mehr oder weniger die gleichen Voraussetzungen wie Menschen ohne Diabetes.

Die größten Herausforderungen bei Profisport mit Diabetes Typ 1

Besonders herausfordernd sind Sportarten, bei denen die Profis zwei bis drei Trainingseinheiten pro Tag und/oder 30 oder mehr Stunden Ausdauertraining pro Woche bewältigen müssen. Eine derart intensive Belastung bedarf üblicherweise einer massiven Reduktion des Insulins, um Unterzuckerungen vorzubeugen; allerdings wird das Hormon auch dringend benötigt, um gut zu regenerieren. Die richtige Insulindosis zu ermitteln, ist in solchen Fällen somit ungemein komplizierter und gleichzeitig erfolgsentscheidend. Neben hoher Blutzucker-Kompetenz braucht es auch viel Erfahrung und meistens ein gewisses Herantasten, bis man die optimale Einstellung gefunden hat.

Die Sache mit der Diabetes-Technik

Ein anderer kritischer Aspekt betrifft die Diabetes-Technik. Denn insbesondere bei Sportarten mit viel Körperkontakt – beispielsweise Kampfsportarten – kann es schwierig sein, eine Insulinpumpe so zu platzieren, dass sie zuverlässig funktioniert. Ähnliches trifft auf Schwimmer und Schwimmerinnen zu. Kurzum erfordern einige Sportarten dahingehend sehr individuelle Lösungen – beziehungsweise gibt es manchmal keine bessere Option, als Insulinpens zu verwenden. Außerdem ist eine Umstellung der Therapie während der Profikarriere alles andere als einfach, schließlich ist man dann schon ein “eingespieltes Team”. Die Therapieform in dieser Phase der Karriere zu wechseln, kann weitreichende Folgen haben. Mitunter auch deswegen meiden es manche Menschen mit Diabetes Typ 1 im Profisport, während der aktiven Karriere die Therapieform zu wechseln – wie beispielsweise Timur Oruz, mehr dazu im Interview (LINK).

Das Problem mit den unterschiedlichen Zeiten

Menschen mit Diabetes Typ 1 geht es körperlich meist am besten, wenn sie einen mehr oder weniger geregelten Tagesrhythmus haben, also beispielsweise stets zu ähnlichen Zeiten essen, schlafen gehen, aufstehen et cetera. Was in diesem Zusammenhang bemerkenswert ist: Noch in den 1980er-Jahren hat die Deutsche Diabetes Gesellschaft (DDG) Menschen mit Diabetes Typ 1 empfohlen, nur

  • allein,

  • indoor,

  • immer zur gleichen Uhrzeit und

  • mit der gleichen Intensität

Sport zu treiben.

Diese Ansichten sind heute überholt. Zwar gilt ein weitgehend ähnlicher Tagesablauf nach wie vor als vorteilhaft für das allgemeine Wohlbefinden; doch durch bessere Rahmenstrukturen – konkret professionelle sportmedizinische Empfehlungen, wann ein Sportler oder eine Sportlerin welche Insulindosis und/oder Kohlenhydratmenge bei welcher körperlichen Aktivität verabreichen soll – und vor allem durch optimierte Diabetes-Technik können sich Betroffene besser an verschiedene Zeiten anpassen, als das früher der Fall war. Das ist extrem wichtig, um überhaupt in der Lage zu sein, sinnvoll Profisport zu betreiben.

Beispiel Tennis: Alexander Zverev spielt nicht immer zur gleichen Zeit; mal hat er morgens, mal nachmittags, mal abends oder sogar nachts ein Match. Dazu ist er Zeitverschiebungen ausgesetzt, wenn er an Turnieren auf anderen Kontinenten teilnimmt. Der Tagesrhythmus ändert sich also praktisch permanent. Auch Sandra Starke berichtet im Interview davon.

Im Idealfall sollte der Tagesablauf inklusive Nahrungsaufnahme und Medikation etwa eine Woche vor einem Wettkampf auf die Wettkampfzeit umgestellt werden, damit sich der Körper gewöhnen kann. Das klappt aber nicht immer, wofür Tennis wieder ein gutes Beispiel ist: Matches finden meist im Tages- oder 2-Tages-Rhythmus statt, aber eben nicht immer zur gleichen Zeit. So ist es etwa gut möglich, dass Alexander Zverev erst Mittwoch Abend und dann Freitag Morgen wieder spielt…

Das bedeutet: Der Körper muss im Grunde so trainiert werden (nicht nur sport-, sondern auch diabetesbezogen!), dass er sich in kürzester Zeit anpassen kann – beziehungsweise es weitgehend ohne Probleme verkraftet, wenn sich der Tagesrhythmus kurzfristig verändert. Schon allein deshalb lohnt es sich, sich näher damit zu beschäftigen, wie Alexander Zverev seinen Typ 1 Diabetes mit dem Tennissport koordiniert, was wir weiter unten tun werden.

Der Aspekt der ärztlichen Begleitung

ProfisportlerInnen mit Diabetes Typ 1 benötigen eine besonders intensive fachärztliche Begleitung. Klassische DiabetologInnen haben im Praxis- oder Klinikalltag oft nicht die Zeit, sich so umfassend um betroffene LeistungssportlerInnen zu kümmern, wie es erforderlich wäre. Deshalb hat die DDG in Zusammenarbeit mit der Universität Bayreuth das von Prof. Dr. Othmar Moser und Ulrike Thurm geleitete Projekt “Challenge – D” ins Leben gerufen: Teilnehmende DiabetologInnen befassen sich seit vielen Jahren ausschließlich mit dem Thema “Sport und Diabetes” und unterstützen LeistungssportlerInnen mitsamt ihren Diabetes-Teams in Form einer telemedizinischen Betreuung. 

Die SportlerInnen nutzen CGM-Systeme zur kontinuierlichen Glukosemessung. Bei der Auswertung und Interpretation der CGM-Profile helfen ihnen die Challenge-D-BetreuerInnen ebenso wie bei eventuell erforderlichen Therapieanpassungen. Überhaupt erhalten die Betroffenen in verschiedenen Phasen ihrer sportlichen Karriere individualisierte, bedarfsgerechte Unterstützung. Das schließt auch ein, dass für spezielle Herausforderungen, etwaige Barrieren und besonders kritische Situationen oder Ereignisse, die mit der Diabetes-Therapie zusammenhängen, im Rahmen des Challenge-D-Projekts passende Lösungsansätze erarbeitet werden.

Du möchtest im Sport mit Typ 1 Diabetes sicherer werden?

Erfolgreiche SportlerInnen mit Diabetes Typ 1

Die Liste an prominenten SportlerInnen mit Diabetes Typ 1 ist länger, als man vielleicht denken würde. Wir konzentrieren uns im Folgenden auf folgende aktive und ehemalige SpitzensportlerInnen aus (oder für) Deutschland:

  • Alexander Zverev (Tennis)

  • Timur Oruz (Hockey)

  • Sandra Starke (Fußball)

  • Kathi Korn (Para-Tischtennis)

  • Matthias Steiner (Gewichtheben)

  • Anja Renfordt (Kickboxen)

Seit wann sind sie von Typ 1 Diabetes betroffen? Welche Auswirkungen hat die Erkrankung auf ihren jeweiligen Sport beziehungsweise ihre sportliche Karriere? Und wie gehen sie mental und emotional mit dem Diabetes um? All das und mehr sehen wir uns nun genauer an.

Alexander Zverev (Tennis)

Geboren am: 20. April 1997

Lebt mit Typ 1 Diabetes seit: 2000

Größter sportlicher Erfolg: Olympiasieg 2021 in Tokio

Alexander “Sascha” Zverev ist einer der bekanntesten deutschen Sportler der Gegenwart. Der in Hamburg geborene Sohn russischer Eltern spielt seit 2013 Tennis auf Profi-Niveau – und das ausgesprochen erfolgreich. Sein bisheriges Karriere-Highlight war die Goldmedaille im Einzel bei den Olympischen Spielen 2020 in Tokio, die pandemiebedingt erst im Jahr 2021 ausgetragen wurden. Zudem stand Zverev in drei Grand-Slam-Finals und befindet sich seit vielen Jahren weitgehend konstant in den Top 10 der Weltrangliste. Seine beste Platzierung war Rang 2 (2022 und 2024). Aktuell (August 2025) ist er die Nummer 3 der Welt.

Zverevs Kindheit und Jugend mit Diabetes Typ 1

Zverev lebt bereits seit seinem vierten Lebensjahr mit Diabetes Typ 1. Die Erkrankung bereitete ihm in seiner Kindheit und Jugend immer wieder Schwierigkeiten. Zum einen wurde ihm von medizinischer Seite vehement davon abgeraten, Leistungssport zu betreiben, beziehungsweise prophezeit, dass er mit Diabetes nie Tennisprofi werden könnte, weil es ihm nicht möglich wäre, über Stunden hinweg auf Leistungsniveau aktiv zu sein. Zum anderen hatte er mit Mobbing durch Gleichaltrige zu kämpfen. Teilweise wurde seine Diabetes-Ausrüstung entwendet und beschädigt und das Insulin weggeworfen, sodass er den ganzen Tag nichts essen konnte. Das waren harte Zeiten für den jungen Sascha. Durch diese negativen Ereignisse zog er es auch vor, seine Diabetes-Erkrankung zu verheimlichen. Um sich Insulin zu spritzen, versteckte er sich auf der Toilette. Abgesehen davon, dass er sich ein Stück weit schämte, wollte er nie, dass man sagt, er habe jetzt eine Ausrede, wenn er verliert oder etwas schief läuft.

Dass er trotz allem seinen Weg gehen und erfolgreicher Tennisprofi werden konnte, verdankt er neben Disziplin und Hingabe hauptsächlich der Unterstützung durch Familie und Freunde. Sie haben ihm insbesondere auf der psychologisch-emotionalen Ebene geholfen, seinen Traum von der Profikarriere zu verwirklichen. Darüber hinaus gab ihm der Sport selbst Halt, der Fokus auf Tennis machte ihn glücklich. Und was wir zudem richtig toll finden: Zverev war es sehr wichtig, sich intensiv mit seiner Erkrankung zu beschäftigen und sie genauestens kennenzulernen. Er rät jedem und jeder Betroffenen, den Diabetes selbst in die Hand zu nehmen und der oder die eigene Expertin zu werden. Dazu müsse man sich klare Ziele setzen und konsequent an ihnen arbeiten. Erfahrung helfe dabei enorm, denn im Laufe der Jahre lerne man, wie der eigene Körper reagiert. Man brauche einfach genug Disziplin, um jeden Tag dazuzulernen und sich besser zu verstehen.

2022: Zverev spricht erstmals öffentlich über seine Diabetes-Erkrankung

Im Jahr 2022 sprach Zverev erstmals offen über seinen Typ 1 Diabetes. Dass er die Erkrankung so lange geheim hielt, lag in erster Linie an seinen schlechten Erfahrungen in der Kindheit und Jugend. Zudem befürchtete er immer, dass seine Gegner sich gegen ihn stärker fühlen würden, wenn sie von seinem Diabetes wüssten.

Doch mit der Zeit änderte sich Zverevs diesbezügliches Empfinden. Nach einigen Jahren als etablierter Profi mit vielen Erfolgen im Rücken fühlte er sich sicher genug, seine Erkrankung öffentlich zu machen. Er war an den Punkt gelangt, der Welt – und vor allem anderen Betroffenen – zeigen zu wollen, dass man es mit Diabetes Typ 1 ganz weit schaffen kann. 

Seither möchte Zverev ein Vorbild sein für bereits erkrankte Menschen, aber auch eine Stütze für diejenigen, die durch eine Umstellung ihres Lebensstils noch vermeiden können, einen Typ 2 Diabetes zu entwickeln. Deshalb hat er eine Stiftung gegründet: Die “Alexander Zverev Foundation – Aufschlag gegen Diabetes” unterstützt vorrangig Kinder und Jugendliche mit Diabetes Typ 1 bei der Persönlichkeitsentwicklung und sportlichen Karriere.

Erfahre mehr zur Alexander Zverev Foundation.

Diabetes Typ 1 im Alltag des Tennisprofis

Zverev nutzt ein modernes CGM-System und kontrolliert engmaschig seinen Blutzucker. Den Sensor trägt er am Gesäß, das Empfangsgerät befindet sich bei Matches in seiner Tasche, sodass er bei jedem Seitenwechsel beziehungsweise in den kurzen Pausen auf der Bank seine Blutzuckerwerte checken kann.

Grundsätzlich ist Zverev dank eines präzise auf ihn abgestimmten Ernährungsplans gut vorbereitet. Er achtet darauf, dass sein Kohlenhydratspeicher gefüllt bleibt und spritzt bei Bedarf Insulin nach. Wenn sein Blutzucker zu niedrig ist, helfen ihm kohlenhydratreiche Getränke oder Energy-Gele. So hält er seinen Blutzuckerspiegel in seinem individuellen Zielbereich. Gelingt ihm das, bereitet ihm der Diabetes beim Sport keine Probleme – und das ist eigenen Aussagen zufolge bei 90 Prozent der Matches der Fall. Aber: Manchmal kommt es dennoch vor, dass der Blutzucker zu hoch oder zu tief geht – und das spürt Zverev dann auch, vor allem an einer verlangsamten Reaktionsgeschwindigkeit.

Spannend, aber absolut nachvollziehbar: Die im Training bei ähnlicher Belastung gemessenen Blutzuckerwerte unterscheiden sich häufig von denen im Wettkampf, was sich Zverev selbst mit der bei echten Matches hinzukommenden Nervosität erklärt. Der dadurch entstehende Stress – genauer gesagt die verstärkte Ausschüttung von Stresshormonen – wirkt sich auf den Blutzucker aus und lässt sich im Training nicht wirklich simulieren.

Bei seinen Matches sieht man Zverev in den kurzen Pausen auf der Bank immer wieder seinen Blutzucker kontrollieren und mal Snacks verzehren, mal Insulin spritzen. Letzteres wurde für ihn bei den French Open im Jahr 2023 zum unerwarteten Problem: Als er sich während eines Matches auf der Bank Insulin in den Oberschenkel injizierte, sorgte das bei den Organisatoren für Aufregung, sodass es ihm zwischenzeitlich verboten wurde, sich auf dem Platz zu spritzen. Es hieß, er solle sich dafür in die Kabine zurückziehen. Als wäre das nicht benachteiligend genug, wurde ihm überdies mitgeteilt, dass diese “Ausflüge” als Toilettenpausen gewertet würden, von denen jedem Spieler lediglich zwei pro Match zustehen – ungünstig, wenn man in einem intensiven Fünfsatz-Match vier- bis fünfmal injizieren muss… Zumindest kamen die Verantwortlichen ein paar Tage später überein, dass das Verlassen des Platzes für die Insulingabe nicht mehr als Toilettenpause gewertet würde. Und nachdem sich Zverev zurecht lautstark beschwerte und der Vorfall medial großes Aufsehen erregte, lenkten die Organisatoren ein. Seither darf der Tennisprofi bei den French Open auf dem Platz Insulin spritzen – etwas, das bei Turnieren der “klassischen” ATP-Tour schon lange vorher so geregelt war.    

Auch unabhängig von diesem Skandal musste sich Zverev in der Vergangenheit immer wieder unpassende Kommentare von Offiziellen in Bezug auf seine Therapiemaßnahmen anhören. Vor einigen Jahren, als er seinen Diabetes noch verheimlicht hatte, wurde ihm vorgeworfen, er würde auf dem Platz via Smartphone unerlaubt gecoacht. In Wahrheit kontrollierte er jedoch einfach nur seinen Blutzucker. Und seit er bei seinen Matches in der Öffentlichkeit Insulin injiziert, wurde er schon mit Äußerungen wie “Das sieht aus, als würdest du dich dopen” konfrontiert. Anmerkung dazu: Insulin steht auf der Liste verbotener Substanzen der Wada (Welt-Antidoping-Agentur). Um es spritzen zu dürfen, braucht Zverev eine Ausnahmegenehmigung. Diese hat er seit Beginn seiner Profikarriere im Jahr 2015. Inzwischen ist der Umgang von Organisatoren und Offiziellen mit Zverev glücklicherweise normaler, fairer, menschlicher geworden. Dennoch gibt es in puncto Aufklärung und Schaffung klarer Strukturen für Profisportlerinnen und Profisportler mit Typ 1 Diabetes nach wie vor Verbesserungspotenzial – und das gewiss nicht nur im Tennissport.

Timur Oruz (Feldhockey)

Geboren am: 27. Oktober 1994

Lebt mit Typ 1 Diabetes seit: 1999

Größter sportlicher Erfolg: Weltmeister 2023 in Bhubaneswar, Olympia-Dritter 2016 in Rio de Janeiro, jeweils mit der deutschen Hockey-Nationalmannschaft

Timur Oruz ist Feldhockey-Profi und studiert Medizin. Seine größten sportlichen Erfolge erreichte er mit der deutschen Nationalmannschaft: Bei den Olympischen Sommerspielen 2016 in Rio de Janeiro gewann das Team die Bronzemedaille und 2023 wurde Deutschland Weltmeister in Bhubaneswar. 2024 beendete Oruz seine Nationalmannschaftskarriere. Die Diagnose Diabetes Typ 1 erhielt der gebürtige Krefelder als Fünfjähriger.

Vorwiegend positive Erfahrungen in der Kindheit und Jugend

Anders als Zverev machte Oruz in seiner Kindheit tendenziell positive Erfahrungen. Nach dem Motto “Der kann mitspielen, der ist gut, somit akzeptieren wir ihn trotz seiner komischen Erkrankung” wurde er von den anderen Kindern weder ausgeschlossen noch aktiv gemobbt. Oruz ließ sich nie durch den Diabetes einschränken und fühlte sich auch körperlich nicht wirklich gehandicapt, sodass die Erkrankung zu keiner Zeit ein großes Thema war. Zudem hatte er das Glück, dass seine Mutter als Kinderärztin arbeitete und sich gut mit seiner Trainerin verstand. So gab es auch dahingehend keine Probleme – durch den direkten Kontakt mit der Mutter wusste die Trainerin, wie sie mit Oruz’ Erkrankung umgehen musste.

Aber: Was Oruz mit Zverev neben der frühen Diagnose noch verbindet, sind die Vorbehalte von medizinischer Seite, die auch er zu hören bekam, als er als Jugendlicher anfing, Feldhockey nicht mehr nur freizeit-, sondern leistungssportlich zu betreiben.

Wie Oruz Diabetes Typ 1 und Profisport managt

Bei seinem ersten Lehrgang mit der deutschen Jugendnationalmannschaft spürte Oruz erstmals, wie schlimm die körperlichen Auswirkungen als Profi mit Diabetes Typ 1 sein können, wenn man nicht gut vorbereitet ist. Die Trainingseinheiten waren extrem anstrengend und er spritzte viel zu viel Insulin, sodass er stark unterzuckerte und es ihm miserabel ging. Er wusste es damals nicht besser, ihm fehlten die Erfahrungswerte – und eine Ansprechperson, die sich mit Diabetes Typ 1 im Leistungssport auskannte. So lernte er anfangs auf die harte Tour.

Mittlerweile ist Oruz Meister darin, schnell richtig auf verschiedene Situationen zu reagieren. Denn wie intensiv ein Training oder Spiel tatsächlich wird, kann er vorher nie genau wissen. Deshalb ist es wichtig, dass er seinen Körper kennt und das Feinjustieren perfekt beherrscht. Im Großen und Ganzen schafft er es sehr gut, in seinem individuellen Zielbereich zu bleiben, was ihm erlaubt, seine Top-Leistung regelmäßig abzurufen.

Anders als Zverev ist Oruz Teamsportler, was immer die Extra-Herausforderung mit sich bringt, dass man als Mensch mit Diabetes Typ 1 nicht alles so frei tun kann wie die Teamkollegen ohne Diabetes, beispielsweise beim Essen: Während sich seine Mitspieler mehr oder weniger sorglos beim Buffet bedienen dürfen, muss Oruz stets darauf achten, was er isst, wie viele Kohlenhydrate seine Mahlzeit hat und wie viel Insulin er dafür spritzt. Außerdem ist nicht immer klar, woraus das jeweilige Essen genau besteht, weshalb er manchmal einfach experimentieren, ausprobieren, sich herantasten muss. Doch er geht damit sehr entspannt um und kommt soweit gut klar.

Aber: Oruz sagt auch offen, dass er regelmäßig unterzuckert. Er hat jedoch eigenen Aussagen zufolge eine gute Eigenwahrnehmung, sodass er es meist schnell merkt und rasch gegensteuern kann, um nicht zu tief in den Unterzucker zu rutschen oder zu lange darin zu bleiben. Als Profisportler ist es laut Oruz schlicht unrealistisch, zu meinen, man könnte seinen Blutzucker dauerhaft stabil halten. Unterzuckerungen gehören praktisch zum Berufsbild – anders als beispielsweise bei jemandem, der einem ruhigen (im Sinne von bewegungsarm) Bürojob nachgeht. Entscheidend ist, rasch richtig darauf reagieren zu können. Wie genau er das macht, schildert er in unserem Interview (LINK).

Interessanter Aspekt: Beim Feldhockey gibt es die sogenannte Interchanging-Regel. Spieler können also jederzeit rein und raus wechseln. Das kommt Oruz hinsichtlich seines Diabetes-Managements zugute: Beim Rauswechseln alle paar Minuten kann er seinen Blutzucker checken und bei Bedarf Anpassungen vornehmen – sprich Kohlenhydrate aufnehmen oder Insulin spritzen.

Noch einmal zurück zum Teamsport-Charakter und zur Frage, wie Oruz’ Teamkollegen eigentlich mit seiner Diabetes-Erkrankung umgehen: Seine Mitspieler necken ihn manchmal, dass er nur deshalb so trainiert aussehe, weil er Insulin spritze (Insulin ist das anabolste Hormon im Körper). Das ist aber eher scherzhaft gemeint und Oruz kann darüber schmunzeln – und wenn es ihm doch mal zu viel wird, kommuniziert er das sehr direkt. Im Allgemeinen bewundern ihn seine Mannschaftskollegen dafür, dass er trotz der zusätzlichen Herausforderung namens Diabetes regelmäßig Spitzenleistungen zeigt. Ein großes Thema ist die Erkrankung im Team allerdings nicht, auch weil Oruz selbst daraus keine große Sache machen will.

Zufrieden mit seinem Los

Alles in allem kann Oruz gut mit seinem Typ 1 Diabetes leben. Er würde ihn gegen keine andere Krankheit tauschen wollen. Es gibt aber natürlich auch bei ihm Momente, in denen er den Diabetes verflucht und sich wünscht, er wäre nicht betroffen. Da geht es ihm wie uns allen, die wir jeden Tag mit der Erkrankung konfrontiert sind.

Oruz kann seinem Diabetes viel Positives abgewinnen: das schnellere Erwachsenwerden; das frühe Erlernen, diszipliniert zu sein; das Feedback, das ihm sein Körper immer wieder gibt, beispielsweise bei einem morgendlichen Ausdauerlauf mit dem Team, der dazu führt, dass er zum Frühstück nur die halbe Insulindosis braucht. Solche Momente und Details begeistern ihn.

Es erfüllt Oruz mit Zufriedenheit, Glücksgefühlen und Stolz, wenn er eine Challenge meistert – ob beim Sport oder beim Diabetes-Management. Das ist unserer Ansicht nach eine fantastische Art, mit den Herausforderungen umzugehen, vor die einen der Profisport und die Diabetes-Erkrankung stellen.

Obgleich es ihm selbst als betroffener Person gut geht, kritisiert Oruz, dass die Strukturen für (angehende) ProfisportlerInnen mit Typ 1 Diabetes nicht optimal seien. Man brauche ein Umfeld, das einen umfassend unterstützt.

Oruz’ öffentliches Engagement

Timur Oruz setzt sich sehr für Aufklärungsarbeit im Bereich Leistungssport mit Diabetes Typ 1 ein. Er findet es extrem wichtig, dass ProfisportlerInnen damit an die Öffentlichkeit gehen, und hat kein Verständnis dafür, die Erkrankung zu verheimlichen. Zum Spritzen auf die Toilette zu verschwinden, damit nur ja niemand merkt, dass man Diabetes hat, erachtet er als den absolut falschen Weg. Von Menschen, die dumme und vielleicht auch verletzende Kommentare von sich geben, solle man sich lieber distanzieren – und die Aussagen selbst nicht so nah an sich heranlassen. Denn Diabetes Typ 1 sei nichts, was man verstecken muss.

Oruz hält immer wieder Vorträge und veranstaltet Workshops, um von Diabetes betroffene Kinder und Jugendliche zu motivieren, trotz der Erkrankung ihren Weg zu gehen. Außerdem engagiert er sich für faire Entlohnung und Förderung von jungen (Nachwuchs-)LeistungssportlerInnen mit seinem Verein Verbund Kölner Athleten. (LINK)

Sandra Starke (Fußball)

Geboren am: 31. Juli 1993

Lebt mit Typ 1 Diabetes seit: 2018

Größte sportliche Erfolge: Deutsche Meisterin und Pokalsiegerin 2022 mit dem VfL Wolfsburg, mehrfache deutsche Nationalspielerin

Wie Timur Oruz betreibt auch Sandra Starke einen Teamsport: König Fußball. Die fußballerische Karriere wurde der in Namibia geborenen Leistungssportlerin gewissermaßen in die Wiege gelegt: Starkes Vater Richard war Fußballtrainer in der namibischen Liga und ihr zwei Jahre älterer Bruder Manni ist ebenfalls Profifußballer geworden.

Sandra Starke startete 2009 beim 1. FFC Turbine Potsdam durch. Dort spielte sie hauptsächlich in der zweiten Mannschaft, bis sie 2013 zum SC Freiburg wechselte, für den die Stürmerin in 152 Spielen 41 Tore erzielte. 2021 zog es sie für zwei Jahre zum VfL Wolfsburg, mit dem sie zwei Titel gewann: die deutsche Meisterschaft und den deutschen Pokal. In ihrer Wolfsburger Zeit war sie zudem mehrere Monate an die US-amerikanischen Chicago Red Stars ausgeliehen. Seit 2023 geht Starke für RB Leipzig auf Torejagd.

Diabetes Typ 1 begleitet Starke seit 2018. Als die Stoffwechselerkrankung diagnostiziert wurde, spielte sie noch beim SC Freiburg. Auch wenn die Diagnose erst einmal ein Schock war, erfuhr die Profifußballerin von Anfang an die richtige Unterstützung. Gemeinsam mit ihrem Trainerteam, der medizinischen Betreuung und nicht zuletzt in enger Zusammenarbeit mit der erfahrenen Diabetes-Beraterin Ulrike Thurm, die ihrerseits sehr sportbegeistert und selbst von Typ 1 Diabetes betroffen ist, hat Sandra Starke ihren Weg zu einer individuell guten Blutzuckereinstellung gefunden.

Du willst mehr darüber erfahren, wie Sandra Starke ihren Blutzucker bei hoher sportlicher Belastung im Zielbereich hält, und wissen, wie ihr privates Umfeld sowie das Team auf die Diagnose Diabetes Typ 1 reagiert haben? Dann sieh dir einfach unser Interview mit der deutsch-namibischen Profifußballerin an!

Kathi Korn (Para-Tischtennis)

Geboren am: 1991

Lebt mit Typ 1 Diabetes seit: 2011

Größter sportlicher Erfolg: Deutsche Meisterin im Para-Tischtennis

Kathi Korn – früher Kathrin Schanz – ist eine echte “Powerfrau” mit einer bewegenden Krankheitsgeschichte. Als sie 21 Jahre alt und gerade dabei war, sich zu einer echten Größe des deutschen Tischtennissports zu entwickeln, erhielt sie die Diagnose Diabetes Typ 1 infolge einer Ketoazidose. Die gebürtige Offenbacherin fiel zunächst in ein tiefes Loch – auch, weil ihr die behandelnden MedizinerInnen mehr oder weniger nur Negatives in Aussicht stellten. Man sagte ihr, dass sie den Leistungssport besser aufgeben sollte und keine Kinder bekommen könnte. Zu Beginn glaubte sie diesen Aussagen und verlor fast jeden Lebensmut. Erst, als sie unerwartet doch schwanger wurde, fing Kathi Korn an, sich genauer mit Diabetes Typ 1 auseinanderzusetzen – und gewann bald ihre Lebensmotivation und -freude zurück.

Heute, mit Mitte 30, hat Kathi drei gesunde Kinder und zudem den deutschen Meistertitel im Para-Tischtennis in der Tasche. Sie arbeitet als leidenschaftliche Healthfluencerin, die Betroffenen wirklich helfen möchte. Besonders beeindruckend: Diabetes Typ 1 ist nur eine von zehn (!) chronischen Erkrankungen, mit denen Kathi Korn lebt. Doch anstatt sich dieser enormen gesundheitlichen Belastung zu unterwerfen, hat sie in ihrem Schicksal ihre Berufung gefunden. Sie sieht sich als Mutmacherin, die anderen Menschen mit Typ 1 Diabetes oder sonstigen chronischen Erkrankungen auf Basis ihrer eigenen Erfahrungen zeigen will, dass man trotzdem alles schaffen kann – mit der in jeder Hinsicht richtigen Einstellung (Blutzucker und Mindset) und einem gut unterstützenden Umfeld.

Lass dir unser Interview mit Kathi Korn keinesfalls entgehen. Glaub uns: Du kannst eine ganze Menge daraus ziehen – gleich, ob du mit Diabetes Typ 1 Profisport betreiben, ein Kind bekommen oder einfach erfüllt leben willst.

Matthias Steiner (Gewichtheben)

Geboren am: 25. August 1982

Lebt mit Typ 1 Diabetes seit: 2000

Größter sportlicher Erfolg: Olympiasieger 2008 in Peking

Matthias Steiner ist eigentlich Österreicher. Nach Unstimmigkeiten mit dem Österreichischen Gewichtheberverband beantragte der gebürtige Wiener 2005 die deutsche Staatsbürgerschaft. Zu diesem Zeitpunkt war er mit einer Deutschen verheiratet, sodass er die Möglichkeit dazu hatte. Anfang 2008 wurde er schließlich eingebürgert und trat fortan für Deutschland an. Im selben Jahr gewann er bei den Olympischen Spielen in Peking die Goldmedaille im Superschwergewicht. Das war der größte Erfolg seiner Karriere, die er 2013 beendete und in der er außerdem jeweils einmal Europa- und Weltmeister wurde. Heute ist er Unternehmer in den Bereichen Ernährung und Bewegung.

Im Gegensatz zu Zverev und Oruz erhielt Steiner die Diagnose Diabetes Typ 1 relativ spät – als 17-Jähriger, einen Tag vor seinem 18. Geburtstag. Die MedizinerInnen rieten ihm sofort, das Gewichtheben und generell den Leistungssport aufzugeben. Doch Steiner ließ sich nicht beirren und machte weiter – und das sehr erfolgreich, wie der Blick auf seine Triumphe beweist. Allerdings brauchte er eine Weile, um seinen eigenen Weg im Umgang mit der Erkrankung zu finden. Zunächst ging es ihm sehr schlecht, vor allem psychisch. Er dachte, sein Leben wäre zu Ende. Tatsächlich war es der Sport, der ihm half, sich wieder besser zu fühlen. In der Folge informierte sich Steiner umfassend über Diabetes Typ 1 und erklärte seinem Trainer, was dieser im Notfall zu tun hätte. Damit setzte er seine Karriere fort. 

Als Leistungssportler nahm Steiner pro Tag bis zu 8000 Kalorien (!) zu sich, die er im Training aber auch gleich wieder verbrannte – wodurch er praktisch permanent gefährdet war, erst zu über- und dann zu unterzuckern. Dass es selbst unter diesen besonderen Umständen gelingen konnte, die für ihn richtige Insulintherapie beziehungsweise allgemein ein gutes, funktionierendes Diabetes-Management zu finden, ist absolut faszinierend. Als Aktiver konnte sich Steiner übrigens nicht vorstellen, eine Insulinpumpe zu tragen (... “weil ich zu viel geschwitzt habe und das Pflaster, mit dem man den Katheter der Pumpe befestigt, nie gehalten hätte”), sodass er von Hand Insulin spritzte. Seit seinem Karriereende ist er allerdings überzeugter Pumpen- und CGM-Sensor-Träger.

Was Steiner besonders nervt, sind die immer noch verbreiteten Vorurteile gegenüber Menschen mit Diabetes Typ 1, weshalb er sich wie Zverev und Oruz für Aufklärungsarbeit einsetzt. Wenn du mehr Interessantes über Matthias Steiner und seinen Umgang mit Diabetes Typ 1 und Leistungssport erfahren möchtest, legen wir dir dieses Stern-Interview ans Herz.

Anja Renfordt (Kickboxen)

Geboren: 1980 (genaues Geburtsdatum unbekannt)

Lebt mit Typ 1 Diabetes seit: 1982

Größter sportlicher Erfolg: 6-fache Weltmeisterin (4 Mal im Vollkontakt – Antwerpen 2003, Basel 2004, Buffalo 2005 und Dublin 2011; 2 Mal im Leichtkontakt – Killarney 2003 und Niagarafalls 2005)

Anja Renfordt wurde mehrfach Welt- und Europameisterin im Kickboxen. Ihre Blütezeit hatte sie Anfang der 2000er-Jahre: Von 2003 bis 2005 gewann sie insgesamt fünf Mal Gold bei diversen Weltmeisterschaften im Voll- und Leichtkontakt. Nachdem sie ab 2006 mehrere Jahre pausierte, begann sie im Sommer 2010 wieder auf Leistungsniveau zu trainieren und legte 2011 bei der Weltmeisterschaft in Dublin ein eindrucksvolles Comeback hin: Renfordt wurde einmal mehr Weltmeisterin im Vollkontakt und Vizeweltmeisterin im Leichtkontakt. Nach dieser abermaligen Demonstration ihrer Stärke verabschiedete sie sich endgültig aus dem Profisport. Heute ist sie als Physiotherapeutin, Personal-Trainerin und Kampfsportlehrerin tätig. Zudem unterstützt sie zahlreiche Projekte, beispielsweise das Hilfswerk für jugendliche Diabetiker sowie DiabDogs. 

Bei Renfordt wurde der Typ 1 Diabetes diagnostiziert, als sie knapp zwei Jahre jung war. Damals – zu Beginn der 1980er-Jahre – gab es noch keine Blutzuckermessgeräte, mit denen ihre Eltern ihren Blutzucker hätten bestimmen können. Ihr erstes Messgerät bekam die gebürtige Meinerzhagenerin erst, als sie eingeschult wurde – ein riesengroßes Exemplar, das in einem weißen Koffer verstaut war und zwei Minuten brauchte, um einen Wert zu ermitteln. Überhaupt gestaltete sich die Therapie zu dieser Zeit wenig komfortabel: Renfordt musste sich an einen sehr strikten Ernährungsplan mit festen Uhrzeiten, festen Mengen und festen Broteinheiten halten – etwas, das wir uns heutzutage nicht mehr vorstellen können. Seit 2006 trägt sie eine Insulinpumpe.

Schon als Kind war die ehemalige Spitzensportlerin ungemein experimentierfreudig. Sie probierte Verschiedenes aus – von Taekwondo bis hin zum Musikunterricht. Irgendwann entdeckte sie das Kickboxen für sich. Es waren vor allem ihre große Begeisterung für diesen Sport, ihre Zielstrebigkeit und die bedingungslose Unterstützung ihrer Eltern, die Renfordt trotz Diabetes Typ 1 den Weg in die sportliche Profikarriere ebneten. Doch es war kein Selbstläufer: Renfordt betont, dass man jede Menge Motivation und Disziplin braucht, wenn man sportlich erfolgreich sein und gleichzeitig seinen Diabetes gut managen will. Sie selbst konnte nur dann ihr Training absolvieren und Leistung bringen, wenn ihre Blutzuckerwerte stimmten. Seit sie alt und reif genug war, ihr Blutzuckermanagement selbst in die Hand zu nehmen, hat Renfordt sehr auf ihren Blutzuckerspiegel geachtet. Die Belohnung: über 40 Jahre Diabetes Typ 1 ohne Folgeschäden.

Renfordt hat ihre Erkrankung nie als Handicap angesehen; vielmehr betrachtet sie ihr Leben mit dem Typ 1 Diabetes als besondere Umstände, mit denen sie sich erfolgreich arrangiert hat. Sie ist der Meinung und gleichzeitig der lebende Beweis dafür, dass Menschen mit Diabetes Typ 1 unter gewissen Bedingungen genauso leistungsfähig sein können wie gesunde SportlerInnen und in der Lage sind, alles zu erreichen, was sie sich vornehmen.

Fazit: Was all diese Profis im Umgang mit Diabetes Typ 1 vereint

Wenn es nach den damals behandelnden Ärzten und Ärztinnen gegangen wäre, hätte keine(r) von ihnen den Beruf des Leistungssportlers beziehungsweise der Leistungssportlerin ergriffen – doch Tennis-Star Alexander Zverev, Feldhockey-Champion Timur Oruz, Para-Tischtennismeisterin Kathi Korn, Gewichtheben-Olympiasieger Matthias Steiner und Kickbox-Weltmeisterin Anja Renfordt ließen sich nicht von ihrem Weg abbringen und verfolgten ihr Ziel von der Profikarriere trotz der Diagnose Diabetes Typ 1 konsequent weiter – teilweise auch mit und wegen der Unterstützung von Diabetes-und-Sport-Experten wie Dr. Othmar Moser oder Diabetes-Beraterin Ulrike Thurm.

Was die in unserem Beitrag vorgestellten Profis erreicht haben, spricht für sich und zeigt zum einen, dass ihre Entscheidung richtig war, und zum anderen, dass Menschen mit Typ 1 Diabetes erfolgreiche SpitzensportlerInnen sein können – und zwar in den verschiedensten Sportarten. Denn Tennis, Feldhockey und Fußball, Tischtennis, Gewichtheben und Kickboxen könnten unterschiedlicher nicht sein, was die konkreten physischen und mentalen Anforderungen und Belastungen betrifft.

Wenn wir uns die Werdegänge beziehungsweise die Berichte der sechs Sportstars ansehen, ist es relativ einfach, die Punkte herauszufiltern, die wichtig sind, um Diabetes Typ 1 und Leistungssport in Einklang zu bringen: Es braucht in erster Linie ein hohes Maß an Hingabe und Disziplin – sowohl für die Diabetes-Therapie als auch für den jeweiligen Sport. Darüber hinaus ist ein förderliches, umfassend unterstützendes Umfeld extrem bedeutsam – von Familie und FreundInnen über TrainerInnen bis hin zur medizinischen und ernährungsbezogenen Betreuung muss alles passen und gut aufeinander abgestimmt sein.

Und was wir noch einmal hervorheben möchten: Jeder Mensch mit Diabetes Typ 1 benötigt eine individuell adaptierte Therapie – im Kontext des Leistungssports gilt das umso mehr. Dafür wiederum ist entscheidend, dass man den eigenen Körper genauestens kennt und einschätzen kann. Das will gelernt sein. Ebenso sollten Betroffene über alles Relevante zu ihrem jeweiligen Sport und generell zu den Auswirkungen bestimmter Trainingsarten auf den Blutzucker Bescheid wissen. Dieses Know-how hilft, Fehler zu vermeiden, eine gute Blutzuckereinstellung zu finden und im besten Fall absolute Spitzenleistungen zu vollbringen und Medaillen zu gewinnen – trotz einer herausfordernden chronischen Erkrankung.

Alexander Zverev, Sandra Starke, Timur Oruz, Kathi Korn, Matthias Steiner, Anja Renfordt, Andreas Petz und viele weitere sind Vorbilder für alle, die mit Diabetes Typ 1 leben und erfolgreich Leistungssport oder Hobbysport betreiben wollen. Sie zeigen: Jede Form von Bewegung und Sport, auch Profisport mit Typ 1 Diabetes, ist möglich – wenn man es will.

Werde fit und selbstbewusst im Sport mit Diabetes Typ 1

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